«Roxette, ihr geilen Säue!»
Ja, nein, vielleicht – diese zerknüllten Zettelchen steckten wir uns gelegentlich unter der Schulbank zu. Verlegen schielten die Augen seitwärts, ein kurzer Blickkontakt, denn wir hofften so sehr, dass die Angebetete zumindest «vielleicht» ankreuzen würde. Sie hatte ja schliesslich die Auswahl. Multiple Choice! Wow!
Rückblickend: Es war schrecklich. Immerhin unbekümmert, aber schrecklich. Und irgendwo in diesem Strudel des Erwachsenseinwollens traten sie in mein Leben. Per Gessle und Marie Fredriksson: Roxette, das Pop-Duo aus Schweden. Das Album dazu hiess «Joyride». Eine unverschämt gute Pop-Idee. Nach wenigen Wochen war die CD-Hülle zerkratzt, das Textbüchlein abgenutzt, die Melodien verinnerlicht. «Things will never be the same», sang Marie Fredriksson da und sie würde recht behalten.
Roxette sind hochgradig uncool
Zu jeder halbwegs anständigen Schülerdisco gehörte «Listen To Your Heart». War die Kuschelrock-CD zur Hand, war der Abend – ähm, sorry! – der Nachmittag im abgedunkelten Keller gerettet. Ein bisschen Klammerblues zur Balladen-Flut aus den viel zu lauten Boxen. Ein bisschen schmusen, aber ohne Zunge! Wehe!
Roxette waren irgendwie dabei, als wir all das erlebten. Trotzdem: Roxette sind nicht cool, sie waren es nie. Wäre der Hipster in den 90ern schon aktuell gewesen, er hätte diesen Pop-Einheitsbrei abgrundtief gehasst. Glattpolierter als jede Tram-Schiene, in die der geneigte Hipster-Schnauz mit seinem Fixie-Velo gerät und dann gepflegt auf den Asphalt knallt.
Roxette-Alben versteckte man im Regal. Wenn Freunde vorbeischauten, kramte man die Alben der wirklich coolen Bands hervor: Oasis, Blur, Nirvana, Radiohead. Herrje, das machte Eindruck. Wer wollte schon zugeben, dass er auf einfache Popsongs mit zuckrigen Melodien steht. Ich habe ihn trotzdem abgöttisch geliebt, diesen einen Song auf dem Album «Crash! Boom! Bang!». Herrlich melodiös. Ein Gitarrenriff, das ich damals (kein Witz!) für richtigen «Rock‹n‹Roll» hielt. Ein mehrstimmiger Refrain, der sich in die hinterletzte Hirnwindung gräbt. «Checkin› in, checkin› out! Making love, I like watching all your fireworks». Ich liebte den Song wirklich, auch wenn ich mir dessen banalen Inhalts wohl kaum bewusst war. Echt jetzt, Per Gessle? Liebe machen, da ich gerne dein Feuerwerk sehen möchte? Wie jetzt? Egal. Das war eine Offenbarung. So geht Popmusik. Strophe – Bridge – Mega-Refrain.
Gutes Karma
Roxette sind «Pop». Durchschaubar, berechenbar und dazu handzahm. Einen Hehl haben sie nie daraus gemacht. Sympathisch. Keine tiefschürfenden Texte, keine politischen Messages, keine historischen Momente, für die sie den Soundtrack geliefert hätten. David Hasselhoff als «Friedensbringer» an der Berliner Mauer lässt grüssen. Depp!
Nun gibt es wieder «Pop», auch wenn Marie Fredriksson, gezeichnet von den Folgen einer Krankheit, im April das Handtuch warf. Roxette brachen ihre Tour ab und werden wohl nie mehr zusammen auf einer Bühne stehen. Zum Abschied gibt es nun «Good Karma». Das neuste Roxette-Album ist letzte Woche erschienen, und es ist...? Mittelmässig. Zum Glück!
Nein! Keine Superhits mehr. Kein «The Look» und kein «Fading Like a Flower». Nein! Auch die grossen Posen sind passé. Gessle und Fredriksson gehen schliesslich stramm auf die 60 zu. Da knackst es in den Gliedern, da «herbstet» es in der Lebensplanung. Beweisen müssen die beiden Schweden sowieso nichts mehr. Als ich Gessle vor ein paar Jahren zum Interview traf, meinte er: «Wir sind mittlerweile komplette Outsiders im Musikbusiness. Keine Erwartungen, kein Druck mehr. Das ist ein verdammt gutes Gefühl. Ich liebe es.»
Frage: Wie kann man die beiden Schweden nicht lieben? Für all diese harmlosen und trotzdem glänzenden Pop-Perlen. Für die wuchtigen Mitsing-Refrains. Für den Soundtrack der 90er. Für die erfrischend altbackenen Songs auch Jahre später. Und nun? Youtube. Roxette in der Endlosschlaufe. «Checkin' in, checkin' out!»