«Ein Suizid hinterlässt 135 Betroffene»
Die Zahl der Suizide geht zwar seit Jahren langsam zurück, doch: «Wir können nicht einfach die Augen verschliessen vor tausend Menschen pro Jahr, die sich das Leben nehmen», sagt Jörg Weisshaupt im «Gott und d’Welt» Podcast. Vor allem um der Angehörigen Willen: 135 Menschen sind von einem Suizid direkt betroffen, so die Internationale Suizidprävention IASP.
«Die nächsten Angehörigen sind im ersten Moment so geschockt, dass sie nichts fühlen. Sie stehen wie neben sich», sagt Jörg Weisshaupt. Sie stellen sich selbst in Frage, die gemeinsamen Lebenspläne und die Liebe des Verstorbenen. Dazu komme, dass Angehörige bei einem Suizid sich meist nicht verabschieden und keinen gemeinsamen Weg bis zum Tod gehen konnten. «Um weitere Suizide zu verhindern, ist die Nachsorge von betroffenen Angehörigen so wichtig», sagt Weisshaupt.
Jörg Weisshaupt ist seit Jahren in der Suizid-Prävention tätig. Der Geschäftsführer des Vereins «trauernetz» begleitet Selbsthilfegruppen in Bern und Zürich und moderiert mit «Nebelmeer» auch Selbsthilfegruppen für junge Erwachsene, die ein Elternteil verloren haben. «Trauer ist keine Krankheit», ist er überzeugt. Verdrängte Trauer könne jedoch krank machen.
«Ratschläge sind Schläge»
Am meisten helfe den «Survivors», wie Jörg Weisshaupt die Hinterbliebenen eines Suizids nennt, der Austausch untereinander. Denn das weitere Umfeld gehe sehr schnell wieder zum Normalzustand zurück.
Unterlassen sollte man gut gemeinte Tipps, wie sich die trauernde Person nun zu verhalten habe. «Ratschläge sind Schläge», so Weisshaupt. Besser: Einladungen zum Z’Nacht oder andere konkrete Angebote.
Immer mehr Männer in Selbsthilfegruppen
Vor 20 Jahren waren es fast ausschliesslich Frauen, die in die Selbsthilfegruppen kamen. «Männer waren damals noch nicht bereit, sich in einer Gruppe auszutauschen, ausser am Stammtisch». Das hat sich geändert. Jörg Weisshaupt begleitete letztes Jahr erstmals eine reine Männergruppe.
Bei den «offenen» Gruppen kann jedes Mal jemand zum Schnuppern vorbei kommen und so lange bleiben, wie er oder sie möchte. «Die Gespräche haben einen Tiefgang, wie ich sie sonst nirgendwo erlebe» sagt Weisshaupt. Bei «geschlossenen» Gruppen bleiben die Teilnehmenden über ein Jahr konstant. Jeder schreibt seine persönliche Geschichte auf und stellt sie den anderen vor.
Warum werden Suizide in der Schweiz immer noch tabuisiert? Wie kann man mit Kindern über einen Suizid sprechen? Und kann man einen Suizid überhaupt verhindern? Diese und mehr Fragen beantwortet Jörg Weisshaupt in der aktuellen Folge des «Gott und d'Welt» Podcasts.