Patti Smith tanzt im Regen von Zürich
Das «Unique Moments Festival» ist auch 2018 ein Musikfestival mit Konzept: An jedem der vier Abende performt eine andere Band die Songs ihres legendärsten Albums. Neben Stephan Eicher, Kraftwerk und Travis zelebriert Patti Smith ihr grosses Album «Horses» von 1975.
Würde sie es wieder schaffen, fragte ich mich im Vorfeld des Konzerts. Es sind fast 20 Jahre her, seit Patti Smith 1999 im Rahmen des «Live at Sunset» im Landesmuseum die Bühne rockte.
Das Zürcher Publikum sass damals plaudernd in den Rängen und wippte anfangs lässig zu den Songs der Grand Dame des Rock'n'Roll mit den Füssen. Definitiv zu brav für Patti Smith.
Sie schaltete mehrere Gänge höher, schmetterte ihre Rocksongs in den Himmel bis jedermann im Publikum von seinem Sitz aufstand. Zum Schluss verriss sie in ihrem wilden Gitarrenspiel eine Saite. Ein unvergesslicher Abend.
Fast zwei Jahrzehnte später steht Patti Smith wieder im Innenhof des Landesmuseums auf der Bühne. Um eines vorweg zu nehmen: Auch mit 71 Jahren tönt ihre Stimme immer noch so kraftvoll wie damals. Die Gitarre nimmt sie nicht mehr zur Hand, dafür hat sie wieder ihren Sohn Jackson Smith an ihrer Seite.
Damals als 17-Jähriger stand er ziemlich scheu im Rampenlicht, heute mit 38 Jahren ist er ein gestandener Gitarrist. Die Sängerin widmete dessen 1994 verstorbenen Vater Fred «Sonic» Smith ihren Hit «Because the Night» - einer der emotionalsten Momente des Abends.
Davor spielte sich die Band quer durch «Horses». Das Album verdeutlicht, wie Patti Smith rückwärts in die Zukunft galoppierte. Die künstlerischen sowie auch die amateurhaften Elemente ihrer Songs hatten beide einen grossen Einfluss auf die Punk- und New-Wave-Bewegung.
Sie selber definiert sich immer noch als Amateurin, allenfalls als Künstlerin, sicher nicht als Musikerin. Das Fachmagazin «Rolling Stones» setzte sie auf die Liste der «100 grössten Künstler aller Zeiten». Die Fusion aus lyrischem Sprechgesang, viel Improvisation und Rockmusik hat nichts von ihrer Strahlkraft verloren.
Die «Queen of Cool» zeigte sich in Zürich nahbar und gut gelaunt. Sie winkte ins Publikum, nippte an ihrer Teetasse, schenkte einem kleinen Mädchen Süssigkeiten und tanzte mit den Fans im Regen.
Die Band mit ihren langjährigen Weggefährten Lenny Kaye (Gitarre), Jay Dee Daugherty (Schlagzeug) und Tony Shanahan (Keyboard und Bass) drückte bei «Gloria» aufs Tempo, wurde bei «Birdland» zu Messdienern und zeigte auch ohne die Bandleaderin als ein eingespieltes Team ihr musikalisches Können.
Die Sängerin hat eine Schwäche für ungewöhnliche Coverversionen. In Zürich gab sie Interpretationen von «Can't Help Faling in Love» von Elvis und Midnight Oils «Beds Are Burning» zum Besten - voll Zärtlichkeit für alle Verliebten das eine, voll Zorn über die Zerstörung des Planeten das andere.
Patti Smith wurde zur Ikone für Rockerinnen, weil sie die Kreativität und Intellektualität vereinte - vor 43 Jahren genauso wie heute. Sie machte immer auch als Poetin und Dichterin von sich reden. Wie eine moderne Schamanin ruft sie im Song «Elegie» den Klub der toten Dichter und Musiker in Erinnerung.
Auf ihren literarischen Pilgerfahrten hat sie immer eine Polaroid-Kamera bei sich, um Fotos von Grabstätten zu machen. Inspiration fand sie auch in Hermann Hesse. Immer wieder reist sie zu Hesses Alterssitz nach Montagnola im Tessin.
Provozierend steht sie heute wie damals auf der Bühne. Spucken tut sie nicht mehr auf die Gesellschaft, sondern um ihren Hals frei zu bekommen. Patti Smith will nicht nur - wie viele der von ihr beeinflussten Bands - Wut und Kritik loswerden. Sie gibt ihrem Publikum Ratschläge, in denen sich subversive Argumente mit mütterlichen Ermunterungen und dem Zorn der Jugend mischen: «Raise your voice.»
Nach 100 Minuten ist mit «People Have the Power» Schluss. Die Fans gehen glücklich nach Hause, auch jene, die sich das Konzert bis zum Ende sitzend von der Tribüne aus angehört haben. Patti Smith wird sich derweil in ihrem Hotelzimmer noch eine ihrer geliebten Krimiserien anschauen.