Ostschweiz
St. Gallen

Sprachbarriere im Gesundheitswesen: So gehen Arztpraxen mit Sprachhürden um

Wer die Sprache nicht kann, wird in deutscher Praxis nicht behandelt – wie meistern St.Galler Spitäler Sprachhürden?

Eine Kinderarztpraxis in Deutschland behandelt nur noch Patienten, dessen Sprache sie verstehen. (Symbolbild)
© Imago
Eine Kinderarztpraxis in Deutschland lehnt Behandlungen bei fehlenden Sprachkenntnissen ab. Es ist ein Fall, der aufhorchen lässt und für Diskussionen sorgt. Doch wie geht man in der Ostschweiz mit Sprachbarrieren im Gesundheitswesen um?

Du gehst mit deinem Kind in eine Kinderarztpraxis für eine Behandlung. Du beherrschst aber die Landessprache nicht und hast keinen Dolmetscher dabei, also wird eine Behandlung bei deinem Kind abgelehnt. Ein Szenario, das in einer deutschen Kinderarztpraxis Realität ist und derzeit für Gesprächsstoff sorgt.

Rassistische Handhabung?

Es ist ein Schild am Empfang der Praxis in Kirchheim, das die Patientinnen und Patienten auf die aussergewöhnliche Regel hinweist: «Wir sprechen hier in der Praxis ausschliesslich Deutsch! Sollte eine Kommunikation aufgrund fehlender deutscher Sprachkenntnisse nicht möglich sein und auch kein Dolmetscher persönlich anwesend sein, müssen wir eine Behandlung – ausser in Notfällen – zukünftig ablehnen», steht da geschrieben.

Die Bandbreite der Reaktionen im Internet darauf ist gross. Einerseits sehen sich die leitenden Ärzte mit Rassismussvorwürfen konfrontiert, andererseits erhalten sie dafür auch viel Zuspruch, wie die «Stuttgarter Zeitung» schreibt.

Ersteres lässt einer der Ärzte der Praxis, Ulrich Kuhn, nicht als Vorwurf gelten. «Das Problem tritt doch gerade deshalb auf, weil wir schon immer jedes Kind ohne Ansehen der Hautfarbe oder der Herkunft versorgt haben und das natürlich auch weiterhin tun», sagt Kuhn gegenüber der Zeitung. Die Sprachbarriere sei aber Realität und es sei vermehrt vorgekommen, dass Patienten kommen und weder Eltern noch Kinder verstehen, was das Gesundheitspersonal sagt. Um die Abläufe in der Praxis möglichst effizient zu halten und sicherzugehen, dass sie als Ärzte rechtssicher handeln, hätten sie sich für diese Massnahme entschieden. Immerhin müssten sie sicher gehen können, dass die Eltern auch verstanden haben, was passiert.

Tägliche Sprachbarrieren

Das Schild in der deutschen Arztpraxis ist momentan die Ausnahme in Deutschland, wie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) der Zeitung Auskunft gibt. Und wie sieht es in der Ostschweiz aus?

Die Verständigung ist eine Herausforderung, womit sich auch etwa das Ostschweizer Kinderspital in St.Gallen regelmässig konfrontiert sieht, sagt die Leiterin Sozialberatung des Kinderspitals, Franziska Fussenegger-Bures: «Wir kommen täglich mit Sprachbarrieren in Berührung. Um eine qualitativ hochwertige Versorgung aller Menschen gewährleisten zu können, braucht es eine einwandfreie Verständigung – ungeachtet der Herkunft, Sprache, Haltung und Lebensform. Die situationsgerechte Verständigung ist die Grundlage für eine gute, vertrauensvolle Kooperation zwischen Familien und dem Behandlungsteam. Sie hilft, Missverständnisse zu vermeiden und trägt zur Qualitätssicherung bei.»

Die Sprachbarrieren überwindet das Kinderspital mit eigenen Massnahmen und greift dafür tief in die Taschen. So gibt es qualifizierte Dolmetscherdienste, die sowohl physisch vor Ort als auch online und telefonisch zur Verfügung stehen. Es sind Zusatzleistungen, die das Kinderspital nicht verrechnet.

Eine solche Regel wie am Beispiel der deutschen Arztpraxis käme für das Kinderspital nicht infrage. Fussennegger-Bures räumt aber auch ein: «Wir sind ein Zentrumsspital auf höchster Versorgungsstufe, welches einen Leistungsauftrag zu erfüllen hat. Es ist unser strategischer Grundsatz, familienorientiert und diversitätssensibel ausgerichtet zu sein und auch so zu handeln.»

Emotionale Gespräche und schwere Diagnosen

Der Tenor ist beim Kantonsspital St.Gallen ähnlich. Auch dort ist die Kommunikation mit fremdsprachigen und gehörlosen Patientinnen und Patienten mittels Dolmetscherkonzept geregelt und man hat ebenfalls einen Leistungsauftrag zu erfüllen.

«Es gibt am KSSG klare Kriterien, in welchen Situationen unsere Fachpersonen zwingend qualifizierte Dolmetschende beiziehen müssen, wenn es Sprachbarrieren mit fremdsprachigen Patientinnen und Patienten gibt. Das sind unter anderem Gespräche mit dem Ziel eines Einverständnisses, Gespräche mit hoher Emotionalität wie Mitteilung einer schweren Diagnose oder Gespräche mit psychosozialen Inhalten», gibt der Mediensprecher des Spitals, Philipp Lutz, Auskunft. Auch das Kantonsspital bleibt auf den Mehrkosten für die Dolmetscherdienste sitzen.

Mehrsprachiges Team als Lösungsansatz

Das Problem mit der Verständigung kennt auch Medbase, ein privates Unternehmen für Gesundheitsdienstleitungen. Das Unternehmen setzt hauptsächlich auf Mitarbeitende, die weitere Fremdsprachen beherrschen und sich beim Übersetzten gegenseitig unterstützen können.

So deckt das Team am Vadianplatz in St.Gallen beispielsweise folgende Sprachen ab: Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Rumänisch, Portugiesisch, Albanisch, Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Russisch, Ungarisch, Arabisch und Kurdisch. In besonderen Fällen würde Medbase ebenfalls Dolmetscherdienste beanspruchen, wobei sich jedoch ebenfalls die Frage der Finanzierung stellen würde.

Deutsche Praxis zeigt sich zufrieden

Alle drei Institutionen weisen darauf hin, dass sie zusätzlich verschiedene Tools und Apps zur Übersetzungshilfe nutzen und/oder am Ausprobieren sind. Solche Tools seien für die Praxis aus Deutschland kein Argument für eine rechtssichere Lösung. «Ich muss selber wissen, was ich gesagt habe. Uns da eine Form der Diskriminierung zu unterstellen oder gar Fremdenfeindlichkeit ist absurd», so Kuhn.

Der deutsche Arzt bestätigt zudem das Bild, das sich auch bei den Ostschweizer Institutionen abbildet. Die Sprachbarriere sei in der Branche ein verbreitetes Problem. Mit der neu eingeführten Regel hätte die Praxis gute Erfahrungen gemacht. «Bei den Patienten ist unsere Aufforderung bisher gut angekommen. Wir haben weniger Fälle, in denen wir Verständigungsschwierigkeiten haben – und es hat sich noch niemand beschwert», wir der Arzt in dem Artikel zitiert.

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veröffentlicht: 3. August 2024 08:33
aktualisiert: 3. August 2024 08:37
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